Mandanten-Rundschreiben

Veröffentlicht am 31.03.2016

5. Umsatzsteuer

5.1. EuGH-Urteil zum Zusammenhang einer Investition mit der Unternehmertätigkeit

In dem am 22.10.2015 entschiedenen litauischen Steuerfall betrieb eine juristische Person die Bereitstellung von Unterkünften, Verpflegung und Getränken, die Organisation von Messe-, Kongress- und Freizeitveranstaltungen sowie Ingenieurtätigkeiten und damit verbundene Beratungsleistungen. Bei ihr fielen Vorsteuern für die Errichtung eines „Freizeit- und Entdeckungswegs zur baltischen Mythologie“ an. Für das Projekt erhielt die Klägerin einen 90 %igen öffentlichen Zuschuss und musste im Gegenzug den Weg mindestens fünf Jahre lang der Öffentlichkeit kostenlos zur Verfügung stellen. Sie beabsichtigte, mit dem Freizeitweg Besucher anzuziehen, um ihnen den

Verkauf von Souvenirs, Verpflegung und Getränken sowie Unterhaltungsleistungen anzubieten. Der EuGH sah grundsätzlich einen ausreichenden Zusammenhang der Investition mit der Unternehmertätigkeit und erblickte in der unentgeltlichen Zurverfügungstellung des Wegs für die Öffentlichkeit keine (etwaig steuerfreie) steuerbare Leistung.

5.2. EuGH-Entscheidung zum Vorsteuerabzug bei geschäftsleitend tätigen Holdingunternehmen und zur Organschaftsregelung

Soweit ein Holdingunternehmen für eine Tochtergesellschaft entgeltlich geschäftsleitend tätig ist, kann es nach einem EuGH-Urteil vom 16.07.2015 den Vorsteuerabzug aus mit dieser Beteiligung zusammenhängenden Leistungsbezügen (auch für den Erwerb und die Finanzierung der Beteiligung) vollumfänglich geltend machen, soweit es keine den Vorsteuerabzug ausschließenden steuerfreien Umsätze erzielt. Soweit das Holdingunternehmen teilweise für einzelne Tochtergesellschaften nichtentgeltlich tätig sei, stehe ihm insoweit für diese nichtwirtschaftliche Tätigkeit kein Vorsteuerabzug zu. Das Unionsrecht mache für die Vorsteueraufteilungsmethode keine Vorgaben, so dass jeder Schlüssel anzuerkennen sei, der zu einer sachgerechten Zuordnung führe.

Nach den unionsrechtlichen Vorgaben erfordere das Zusammenrechnen von mehreren selbständigen Rechtspersonen zu einem Mehrwertsteuerpflichtigen zur Annahme einer Organschaft nicht das Vorliegen eines Über- und Unterordnungsverhältnisses und  nicht, dass es sich um juristische Personen handele, es sei denn, diese Einschränkung sei zur Verhinderung missbräuchlicher Praktiken oder Verhaltensweisen und Vermeidung von Steuerhinterziehung oder –umgehung erforderlich und geeignet. Dies sei im Einzelnen von den nationalen Gerichten zu prüfen. Ein Steuerpflichtiger könne sich auf die unionsrechtlichen Vorgaben zur Bildung von Mehrwertsteuergruppen aber  nicht unmittelbar berufen, weil die Vorgaben nicht hinreichend eindeutig und strikt seien.

Hinweis:

Es bleibt abzuwarten, wie die Gesetzgeber und die Finanzverwaltung sowie der BFH auf die Rechtsprechung des EuGH reagieren. Die Vorgaben des EuGH lassen sich letztendlich nur im Rahmen einer gesetzlichen Neufassung von § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG erfüllen.

5.3. EuGH-Urteil zum Vorsteuerabzug eines gutgläubigen Empfänger einer Warenlieferung

Dem gutgläubigen Empfänger einer Warenlieferung darf der Vorsteuerabzug nach einem Urteil des EuGH vom 22.10.2015  in einem polnischen Steuerfall nicht schon deshalb versagt werden, weil der im Handelsregister eingetragene Lieferer umsatzsteuerlich nicht registriert war, keine Steuererklärungen abgab, keine Steuern entrichtete, seine Jahresabschlüsse pflichtwidrig nicht veröffentlichte und später festgestellt wurde, dass die registrierte Adresse sich in einem für die Geschäftstätigkeit unbrauchbaren Gebäude befand und der vermeintliche Lieferer somit nach den Einschätzungen der Finanzbehörde ein nicht existenter Wirtschaftsteilnehmer war.

Hinweis:

Diese Entscheidung ist zur Lieferung von Dieselkraftstoff für betriebliche Zwecke durch eine eingetragene Gesellschaft ergangen, die nach den späteren Feststellungen der Steuerverwaltung steuerlich nicht registriert und nicht in der Lage war, die Lieferungen durchzuführen. Weil der Steuerpflichtige die Lieferungen tatsächlich erhalten hatte, hatte der EuGH Bedenken gegen die Versagung des Vorsteuerabzugs, weil der Steuerpflichtige nicht wissen konnte und musste, wie die Verhältnisse lagen. Habe der Steuerpflichtige eine Lieferung erhalten und sei der auftretende Lieferant formalrechtlich existent, müsse der Abnehmer in der Regel nicht zusätzlich recherchieren, ob sein Geschäftspartner auch in der Lage sei, die georderte Bestellung selbst durchzuführen.

5.4. Kein blindes Vertrauen auf Unbedenklichkeitsbescheinigung

Der Unternehmer ist nur dann durch eine Unbedenklichkeitsbescheinigung in seinem Vertrauen geschützt, wenn er nicht über gegenteilige bessere Erkenntnisse verfügt oder hätte verfügen können oder müssen. Das hat das FG Hamburg mit Beschluss vom 11.02.2014 entschieden. Im zugrunde liegenden Fall holte das Finanzamt im Rahmen einer Umsatzsteuersonderprüfung Auskünfte bei den Finanzämtern der mutmaßlichen Lieferanten eines Unternehmers ein. Hierbei ergaben sich erhebliche Ungereimtheiten. So ergab sich, dass die Lieferanten tatsächlich nicht existierten, nicht in der angegebenen Branche tätig waren oder für Scheinrechnungen bekannt waren. Das Finanzamt versagte daraufhin den Vorsteuerabzug und forderte die entsprechende Umsatzsteuer zurück. Der Unternehmer verwies auf steuerliche Unbedenklichkeitsbescheinigungen, die auf die Lieferanten ausgestellt waren.

Nach Auffassung des FG sei der Unternehmer verpflichtet, beim Vorliegen von offensichtlichen Ungereimtheiten und Auffälligkeiten bezüglich der Rechnungsaussteller wie

-   die Rechnungsaussteller verfügen nicht über genügend Fahrzeuge für die Durchführung der abgerechneten Anlieferungen,

-   sie treten stets in Begleitung auf bzw. lassen sich durch einen Handlungsbevollmächtigten vertreten und

-   sie rechnen bereits unmittelbar nach ihrer Gewerbeanmeldung sehr hohe Liefermengen gegen Barzahlung von fünf- bzw. sechsstelligen EUR-Beträgen ab

Auskünfte über die Unternehmereigenschaft der Rechnungsaussteller einzuholen, um sicherzustellen, dass die Rechnungsstellung nicht der Verschleierung einer Steuerhinterziehung der tatsächlich Leistenden diene.

Es genüge insoweit nicht, wenn der Unternehmer von den Rechnungsausstellern lediglich die Vorlage der Gewerbeanmeldung sowie der steuerlichen Unbedenklichkeitsbescheinigung verlange. Vielmehr sei insbesondere erforderlich, dass der Unternehmer den Sitz der einzelnen Rechnungsaussteller überprüfe.

Hinweis:

Ohne die beschriebenen „Auffälligkeiten und Ungereimtheiten“ hätte die steuerliche Unbedenklichkeitsbescheinigung zum Schutz des guten Glaubens geführt.

5.5. EU-Mitgliedstaaten müssen für eine korrekte USt-Identifikationsnummer einstehen

Nach Auffassung des EuGH in einem Urteil vom 14.03.2013 steht es den EU-Mitgliedstaaten frei, Steuerhinterziehungen, -umgehungen und etwaigen Missbräuchen durch geeignete Maßnahmen entgegenzuwirken.

Das Urteil erging zu einem Vorabentscheidungsersuchen aus Lettland. Die lettische Finanzverwaltung lehnte die Erteilung einer Umsatzsteuer-Identifikationsnummer ab, weil nach einer Überprüfung des Steuerpflichtigen der begründete Verdacht bestand, dass dieser die Nummer missbräuchlich zum Umsatzsteuerbetrug einsetzen könnte. Fraglich war, ob die Finanzverwaltungen der EU-Mitgliedstaaten zu einer derartigen Überprüfung berechtigt sind.

Da der EuGH diese Frage bejahte, folgt daraus im Gegenzug eine Verpflichtung der Mitgliedsstaaten, die Richtigkeit der Eintragungen in das Register der Steuerpflichtigen zu garantieren, um ein ordnungsgemäß funktionierendes Mehrwertsteuersystem sicherzustellen.

Ein Unternehmer genießt daher Vertrauensschutz, wenn er die Umsatzsteuer-Identifikationsnummer eines EU-ausländischen Geschäftspartners gewissenhaft, zeitnah und präzise im Rahmen seiner EU-Umsätze abfragt.

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